Gesangvereine in Stammheim
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts gründeten sich in Deutschland fast flächendeckend Gesangvereine. In beinahe jedem Dorf gab es eine Gruppe von Sängern. Vielerorts waren sie die größte Personenvereinigung. Allerdings vereinigte sich hier nur die eine Hälfte der Bevölkerung, denn Chöre in dieser Zeit waren durchweg Männergesangvereine. Chorleiter waren überwiegend Lehrer. Vermutlich existierte vor der Gründung des Volkschors in Stammheim der Gesangverein „Harmonie” Stammheim. Im Notenarchiv des Volkschors gibt es von diesem Chor fünf Männerchor-Notensätze, z. T. handgeschrieben. Gemessen an den wenigen Noten bestand dieser Chor vermutlich nur kurze Zeit.
Vor und nach dem 1. Weltkrieg entstanden in der Wetterau vielerorts
„Arbeitergesangvereine”. Der „Arbeitergesangverein Vorwärts Stammheim” wurde am
1. Dezember 1909 gegründet.
Er war der direkte Vorläufer des heutigen „Volkschor Stammheim 1909”. In den
ersten Jahren traf man sich im Vereinslokal Karl Pfannmüller unter der Leitung
von Dirigent Wilhelm Lorey aus Nieder-Florstadt. Die musikalische Leitung
übernahm 1912 Karl Nagel, eines der Gründungsmitglieder. 21 Stammheimer Männer
sind als aktive Sänger festgehalten. In den Jahren 1915-1920 fanden
kriegsbedingt keinerlei Vereinsaktivitäten statt.
Ab ca. 1921 nannte sich der Chor nur noch „Arbeitergesangverein … Stammheim”.
Dass zu dieser Zeit der Name „Vorwärts” aus dem Stempel des Vereins geschnitten
wurde, lässt sich damit erklären, dass man sich hiermit von seinen politischen
Wurzeln, der sozialdemokratischen Bewegung – zumindest in der Namensgebung –
distanzieren wollte. Man bemühte sich politisch unauffälliger zu sein, um keine
Restriktionen oder eine Auflösung zu provozieren. Konsequenterweise erfolgte
dann 1924 die Umbenennung in „Volkschor Stammheim”.
Erzählungen älterer Stammheimer Bürger sowie die vielen vorhandenen alten
Notensätze lassen vermuten, dass das Vereinsleben in der Zeit vor dem 2.
Weltkrieg sehr rege war. Geprobt wurde bis in die 1960er Jahre hinein im
Ratszimmer des Stammheimer Schlosses. Vereinsmitglieder haben Holz mitbracht,
um im Ratszimmer einzuheizen. Neben den gesanglichen Aktivitäten fanden
Theateraufführungen statt, die auf alten Fotos dokumentiert sind.
Was während der Machtergreifung der Nazis passierte, lässt sich nur grob
skizzieren. Vermutlich wurde der Volkschor, der in der Tradition der
Arbeitergesangvereine stand, Anfang der 30er Jahre verboten (Verbot des
Dachverbandes „Deutscher Arbeiter-Sängerbund 1933). Das umfangreiche Notenmaterial
blieb größtenteils erhalten. Verschwunden ist aber die Vereinsfahne des
Volkschors, die 1928 im Rahmen eines Sängerfestes feierlich geweiht wurde. Es
ist denkbar, dass die Sänger des Volkschors beim zeitgleich existierenden
„Gesangverein Germania Stammheim” Aufnahme fanden. Dieser war nicht von
Auflösung bedroht, da er dem Wetterauer Sängerbund angehörte, der bereits
Anfang der 30er Jahre „gleichgeschaltet” wurde und sich relativ bruchlos in die
Ideologie des Nationalsozialismus einbinden ließ. Diese Vermutung wird gestützt
durch Noten aus dem Jahr 1932, die sowohl den Stempel des alten
Arbeitergesangvereins als auch den Stempel der „Germania” tragen;
offensichtlich handelte es sich um Liedgut, das damals weiterhin gesungen
werden durfte.
Nach dem Krieg nahm der Volkschor bereits 1945 seine Arbeit wieder auf und
wurde Mitglied des Deutschen Allgemeinen Sängerbund (DAS). Den früheren Deutschen
Arbeiter-Sängerbund (auch DAS abgekürzt) gab es nicht mehr. Der alte wie auch
neue Name „Volkschor” weist darauf hin, dass alle Schichten der Bevölkerung –
gleich welcher religiösen oder politischen Richtung – angesprochen sind. Das
gilt heute wie damals.
Seit den 50er Jahren lässt sich eine kontinuierliche Chortätigkeit nachweisen.
Der Chor beteiligte sich bei Wertungssingen und war hier mit Werken von Felix
Mendelssohn-Bartholdy (Die Nachtigall) und dem Wiegenlied von Mozart zu hören.
Liederabende, Ausflüge und der Besuch von Veranstaltungen anderer Vereine
gehörten zum alljährlichen festen Programm. Zeitweise gab es neben dem
gemischten Chor auch noch einen Männerchor. 1959 wurde das 50jährige
Vereinsjubiläum groß gefeiert. Zum Festprogramm gehörten mehrere Liederabende
(22 Vereine waren zu Besuch), Aufführungen von Kunstradfahrern und
Rollschuhläuferinnen aus Nieder-Florstadt und ein großer Umzug. Seit 1964 sang
der Chor zur Weihnachtszeit auch in der Kirche und trug damit zur Gestaltung
festlicher Advent-Gottesdienste bei. Bereits 1969 wurde wieder groß gefeiert.
Auch das 60jährige Vereinsjubiläum war Anlass für eine zweitägige
Veranstaltung. Hier hatte der neu gegründete Kinder- und Jugendchor unter der
Leitung von Heinrich Eckhardt seinen ersten Auftritt.
Die regionale Untergliederung des DAS heißt seit den 70er Jahren in Hessen
Hessischer Chorverband. Nach dem Zusammenschluss des DAS mit dem Deutschen
Sängerbund zum Deutschen Chorverband im Jahr 2005 blieb in Hessen der HCV als
eigenständiger Verband bestehen und hat heute fünf regionale Gliederung mit
insgesamt rund 60 Gesangvereinen. (Der große Bruder, der Hessische Sängerbund vertritt
in Hessen 2200 Vereine.)
Der Volkschor sang bei der Grundsteinlegung (1964) sowie der Einweihung
(1966) des neuen Bürgerhauses. Von diesem Zeitpunkt an trafen sich die
Stammheimer Sänger zur wöchentlichen Singstunde nicht mehr im Schlosssaal,
sondern im Bürgerhaus.
Von 1969 bis 1977 gab es beim Volkschor eine rege Kinder- und Jugendchorarbeit.
Dank des engagierten Chorleiters Heinrich Eckhardt kamen in diesen Jahren
Kinder und Jugendliche im Alter von 11 bis 15 Jahren in den Genuss eines
gesanglichen Angebots. Nach wenigen Jahren wuchs der Kinder- und Jugendchor auf
eine stolze Gruppengröße von 30 Personen an. Die Kinder traten bei den
Veranstaltungen des Volkschors auf und besuchten die Altenweihnachtsfeier der
Großgemeinde. Ab 1970 begann man zusätzlich mit der Aufführung von selbst
verfassten Theaterstücken. Ab 1976 ließ die Teilnahme so stark nach, dass der
Kinder- und Jugendchor Anfang 1977 offiziell aufgelöst wurde.
Erst 15 Jahre später im Jahr 1992 fand zunächst mit Heidi Bauer-Klar, dann mit Carola Hallenberg und ab April 1996 mit Dorothea Grebe ein Neubeginn statt. Der Regenbogenkinderchor besteht bis heute.
Im Herbst 1995 begann für den Volkschor eine schwierige Zeit. Die Teilnehmerzahl bei den Singstunden war stark rückläufig und alle Werbeversuche blieben erfolglos. Dank des ehrenamtlichen Einsatzes von Dorothea Grebe, die zu dieser Zeit bereits den Kinderchor leitete, konnte die Talsohle überwunden werden. Es folgten drei Jahre unter der Leitung des Dirigenten Torsten Farnung, der großen Wert darauf legte, dass sich der Chor verschiedenen Musikstilen öffnete und ein vielseitiges Repertoire erarbeitete, denn nur so könne er seinem Namen „Volkschor” gerecht werden. Er erwartete von den Sängern häufigere Auftritte, regelmäßige Teilnahme an allen Aktivitäten des Chores und wünschte sich mehr Kooperation mit dem Kinderchor und dem „Jungen Chor”. Für viele SängerInnen ging diese Entwicklung zu schnell. Der Volkschor schlitterte in die Krise, die im Herbst 1999 begann und bis zum Herbst 2001 andauerte. Über zwei Projektphasen gelang es der nun auch für den gemischten Chor verpflichteten Chorleiterin Dorothea Grebe eine neue singfähige Gruppe mit wenigen alten und vielen neuen Gesichtern aufzubauen. Der Neuanfang mündete in einem erfolgreichen Herbstkonzert 2001 mit Jagd- und Trinkliedern, an dem sich auch der Kinderchor beteiligte.
Die Wogen haben sich geglättet. Es gibt einen engagierten Kreis von Sängerinnen und Sängern, der Kontinuität in die Probenarbeit gebracht hat und großes Interesse an der Erarbeitung neuer Chorliteratur zeigt. Auch die gesangliche Qualität hat sich, dank intensiver Einsingübungen, häufiger Probenwochenenden und des Einsatzes qualifizierter Stimmbildnerinnen mit Gruppen- oder Einzelunterricht, deutlich verbessert. Inzwischen bietet der Volkschor ein festes Jahresprogramm konzertanter Veranstaltungen, in die alle drei Chöre des Vereins eingebunden sind. Intensive Probenwochenenden in oder außerhalb Stammheims gehören zur Vorbereitung. Der persönliche Zusammenhalt unter den aktiven Sänger und Sängerinnen wird durch sommerliche Grillnachmittage, Weihnachtsfeiern und die traditionelle jährliche Winterwanderung im Januar gepflegt.
Die Highlights der letzten Jahre:
30.11.2002 Adventskonzert
28.02.2003 Bürgerhaus-Einweihung nach dem Umbau mit der Erstaufführung
des Mundart-
Liedes „Siehste
näit die Säu im Gourde”
04.07.2004 Matinée „Tierisches Konzert”
28.11.2004 Adventskonzert „Machet die Tore weit”
09.10.2005 Matinée “Evergreens”
07.05.2006 Konzert „Vivat Mozart” im Mozart-Jahr
02.12.2006 Weihnachtslieder aus aller Welt
28.04.2007 Benefizkonzert zugunsten der Stammheimer Kirchenorgel
01.06.2008 „O Musica, du edle Kunst”
29.11.2008 Alte und neue Weihnachtslieder und das Kinder-Musical „Eddi
und die
Weihnachtskugel”
29.03.2009 Historische Matinée, 100 Jahre Welt-, Vereins- und Ortsgeschichte
29.08.2009 „Rotasia“, ein farbenprächtiges Kindermusical
03.10.2009 Jubiläums-Finale „Sing doch mit – Singen tut gut!“
05.09.2010 „Der ganze Kühlschrank s(w)ingt“ – Kindermusical
28.11.2010 Adventkonzert „Maria durch den Dornwald ging“
20.03.2011 Liedernachmittag „Frühlingslieder in Dur und Moll“
18.09.2011 Kindermusical „Prinzessin Aglaia“
01.10.2011 Live-Bands aus der Region „Rock in Stammheim“
07.-11.10.2011 Fahrt nach Lamballe/Pléneuf-Val-André, Frankreich zum 30-jährigen
Jubiläum
des Chors
“L’Eveil” mit gemeinsamem Konzert in Lamballe und Vorträgen in der
Kirche von
Pléneuf
22.04.2012 „Tierisch guter Liedernachmittag“
08.09.2012 Grusical „Geisterstunde auf Schloss Eulenstein“
06.10.2012 Live-Bands aus der Region „Rock in Stammheim“
28.04.2013 Liedernachmittag „Frühlingslieder aus aller Welt“
27.10.2013 Deutsch-französisches Konzert mit Gästen von l’Eveil
17.05.2014 Liederabend „Moon-River“
19.09.2014 Musical „Der Regenbogenfisch“
15.+16.11.2014 Eine Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens, Musical „Mr. Scrooge“
18.10.2014 Live-Bands aus der Region „Rock in Stammheim“
30.11.2014 Konzert „Frohlocket ihr Völker“ weihnachtliche Chormusik
19.04.2015 Liedernachmittag „Alle, die mit uns auf Kaperfahrt fahren…“
11.07.2015 Klingendes Florstadt, Treffen Florstädter Chöre
08.11.2015 Musical „Kalif Storch“
13.12.2015 Liedernachmittag „Florstadt klingt im Advent“
20.03.2016 Liedernachmittag „Frühlingserwachen“
18.06.2016 Florstadt klingt rund um die Welt, Musik-Workshops und Konzert
27.11.2016 Konzert „Stille Nacht, heilige Nacht“,
Klänge aus den Alpen,
mit Hackbrettensemble
23.04.2017 Liedernachmittag „Liebeslieder aus aller Welt“
10.06.2017 Florstadt klingt rund um die Welt, Musik-Workshops und Konzert
26.08.2017 Kindermusical „Tuishi Pamoja“
29.03.2018 Kindermusical „Max und die Käsebande“
22.04.2018 Liedernachmittag „Der Frühling ist da“
02.12.2018 Adventskonzert „Süßer die Glocken nie
klingen“
(Wiederholung am 23.12.2018 in Nieder-Mockstadt)
17.03.2019 Taizé-Gottesdienst in Nieder-Mockstadt
23.06.2019 Konzert „Sommer ist ins Land gekommen“, Kirche Nieder-Florstadt
27.10.2019 Liedernachmittag „Die Martinsgans“